Flüchtlinge im Kampf um ein Zuhause
Ein Interview mit Yilmaz Gülüm
Die alarmierenden Zustände auf dem Wohnungsmarkt, besonders für Flüchtlinge, sind besorgniserregend. Politikredakteur Yilmaz Gülüm hat sich intensiv mit diesen Problemen beschäftigt. Im Interview beschreibt er die gravierenden Lebensbedingungen, wie Schimmel, Ungeziefer und fehlenden Strom, sowie die fragwürdigen Praktiken einiger Immobilienvermieter. Für seine herausragende investigative Arbeit und die Aufdeckung dieser Missstände erhielt er gemeinsam mit Faris Rahoma den Robert-Hochner-Preis.
Lisa Peres: Herr Gülüm, Sie haben sich intensiv mit den Wohnbedingungen für Flüchtlinge auseinandergesetzt. Was sind die gravierendsten Probleme, mit denen die Menschen konfrontiert sind?
Yilmaz Gülüm: Die Zustände in den Wohnungen, in denen vor allem syrische Flüchtlinge leben, sind erschreckend. Diese Wohnungen sind sowohl außen als auch innen desolat – Schimmel, Ungeziefer, unsichere Stromleitungen, undichte Dächer, Toiletten auf dem Gang und fehlende Heizungen sind an der Tagesordnung. Die Mietverträge sind oft mangelhaft, und die Mieten werden in bar kassiert, während die Vermieter leere Versprechungen machen, die Mängel zu beheben. Es handelt sich hier nicht nur um ein Konsumentenschutzproblem, sondern um mafiöse Machenschaften.
Wie kommt es dazu, dass Flüchtlinge in solche prekären Wohnsituationen geraten?
Viele Flüchtlinge haben keine andere Wahl, als in solche Wohnungen zu ziehen, da sie dringend eine Unterkunft benötigen. Vermieter nutzen die Notlage der Betroffenen aus und verlangen hohe Beträge für unzumutbare Bedingungen. In ihrer Verzweiflung sehen sich die Menschen gezwungen, solche Angebote anzunehmen, obwohl viele wissen, dass die Bedingungen inakzeptabel sind.
Können Sie uns ein Beispiel für eine Immobilienfirma nennen, die problematische Praktiken an den Tag legt?
Ein besorgniserregendes Beispiel ist die Immobilienfirma Mauerwerk. Der Chef der Firma spricht die Sprache der Flüchtlinge, kann also Vertrauen aufbauen. Nach einem Bericht über Mauerwerk erhielten wir zahlreiche Hinweise auf weitere problematische Gebäude. Obwohl die Mietpreise günstig erscheinen, ist es untragbar, dass man für 600 Euro kaum annehmbare Wohnungen findet. Oft erhält man für diesen Preis nur kleine, unrenovierte Wohnungen ohne grundlegende Annehmlichkeiten. Das ist klare Abzocke. Auf unserer Liste stehen mittlerweile schon über 25 solcher Adressen.
Welche Herausforderungen haben Flüchtlinge bei der Wohnungssuche?
Viele Männer kommen alleine, da die Überfahrt teuer und gefährlich ist. Während sie auf die Entscheidung ihres Asylverfahrens warten, stehen sie in ständigem Kontakt mit ihren Familien, die nach der Zusammenführung fragen. Nach einer positiven Entscheidung dürfen sie bleiben, haben jedoch nur wenige Monate Zeit, um aus den Flüchtlingsquartieren auszuziehen. In dieser Übergangszeit beantragen viele sofort die Familienzusammenführung haben aber noch kein Einkommen. Die Wohnungssuche gestaltet sich als äußerst schwierig. Ohne Lohnzettel und Sprachkenntnisse haben viele kaum Chancen. Der Zeitdruck ist enorm, und viele haben bereits zahlreiche Inserate erfolglos angeschrieben. In ihrer Not suchen sie hektisch in WhatsApp- und Facebook-Gruppen nach Wohnungsangeboten, oft auf Arabisch veröffentlicht.
Wie benachteiligen Immobilienfirmen Mieter durch unklare Verträge und Tricks?
Immobilienfirmen nutzen häufig rechtliche Grauzonen, um Mieter auszubeuten. Die Untervermietung durch Hauptmieter ist ein gängiges Mittel, um höhere Mieten zu verlangen. Außerdem hat man als Untermieter weniger Rechte. Diese Konstruktion ermöglicht es dem Hauseigentümer zum Beispiel, durch die Kündigung des Hauptmietvertrags alle untergeordneten Mietverträge zu annullieren. Zudem wird ihnen häufig versprochen, dass die Wohnung renoviert wird, wenn sie 5000 Euro in bar zahlen – ohne schriftliche Vereinbarung. In der Folge bleibt das Geld verloren, und es passiert nichts.
Was muss getan werden, um die Rechte der Mieter zu schützen?
Es ist entscheidend, dass die Mieter über ihre Rechte informiert werden. Viele leben in unsicheren, rechtlich fragwürdigen Situationen, ohne es zu wissen. Schutzmechanismen müssen existieren, um sie vor Ausbeutung zu bewahren. Besonders in Flüchtlingsunterkünften sollte dringend Aufklärung stattfinden, um die Menschen vor der Mietmafia zu warnen.
Gibt es auch positive Entwicklungen in dieser Thematik?
Ja, trotz vieler Herausforderungen gibt es positive Entwicklungen. Ein Beispiel ist eine junge Familie, die in einer schimmel- und ungezieferbefallenen Wohnung lebte, in der massive Kanalisationsprobleme einen unerträglichen Gestank verursachten. Die Kinder hatten Hautausschläge, und der Arzt stellte Ungeziefer fest, weshalb die Familie dringend ausziehen musste. Sie hatten ihr Erspartes für Renovierungen ausgegeben, doch es fehlte das Geld für einen Umzug, und sie fühlten sich gefangen. Der Vater hatte Angst, seine Kinder in den Kindergarten zu schicken, da er befürchtete, das Jugendamt könnte eingeschaltet werden. Nach mehreren Besuchen trugen die Kinder immer die gleichen Kleider. Dank unserer Reportage konnte die Familie mit Hilfe einer NGO eine neue Wohnung finden. Das zeigt, dass Aufklärung und Berichterstattung einen Unterschied machen können.
Wie reagiert die Politik auf diese Missstände?
Die Politik hat bisher nur zögerlich reagiert. Viele Parteien zeigen wenig Interesse an nicht wahlberechtigten Gruppen. Die Verantwortung wird zwischen Landes- und Bundespolitikern hin- und hergeschoben, ohne dass sich von den Regierenden ernsthaft jemand mit den Problemen auseinandersetzt. Es ist an der Zeit, dass die Gesellschaft und die Politik Verantwortung übernehmen und den betroffenen Menschen die Unterstützung bieten, die sie dringend benötigen.
Was möchten Sie gerne abschließend sagen?
Wir müssen weiterhin berichten und aufklären. Nur so können wir die Missstände sichtbar machen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.
Yilmaz Gülüm ist seit 2010 als Journalist tätig und begann seine Karriere als freier Mitarbeiter bei der Wiener Zeitung. 2014 trat er in eine Festanstellung ein, zunächst bei Puls 4 und später bei News. Seit 2017 arbeitet er als Politikredakteur beim ORF Report und engagiert sich seit 2011 für den Media-Watchblog Kobuk. Gemeinsam mit Faris Rahoma wurde er mit dem Robert-Hochner-Preis für seine mutige Berichterstattung über die Ausbeutung von Flüchtlingsunterkünften ausgezeichnet.