Volkshilfe – Umfrage: Viel Zukunftsangst und grosse Sorge um Leistbarkeit des Wohnens

Kein Zukunftsversprechen mehr an die junge Generation

Die Volkshilfe entwickelt ihre sozialpolitischen Konzepte und Forderungen auf der Basis interner und externer Forschungsergebnisse, aus den Erfahrungen der täglichen Arbeit mit Betroffenen und aus ihrem Sozialbarometer. Dabei werden regelmäßig repräsentative, österreichweite Befragungen durchgeführt, um genaue Informationen über die soziale Lage der Bevölkerung zu erhalten. Für den Präsidenten der Volkshilfe Österreich Ewald Sacher „enthält der aktuelle Sozialbarometer einige brisante Ergebnisse. Der hohe Anteil der Menschen mit Zukunftsängsten, die Sorge um die Leistbarkeit des Wohnens, aber auch das Gefühl, von der Regierung bei der Teuerung allein gelassen zu werden, zeigen eine große sozialpolitische Herausforderung. Unserer Gesellschaft kommt das Zukunftsversprechen an die jungen Leute abhanden, stattdessen regiert die Angst, nicht mehr über die Runden zu kommen.“  

Höheres Engagement der Regierung gegen die Teuerung dringend erforderlich

Im Einklang mit den weit verbreiteten Zukunftsängsten und finanziellen Sorgen stuft nur eine kleine Minderheit (12%) der Befragten die Maßnahmen der aktuellen Regierung zur Abfederung der negativen Folgen der Teuerung als ausreichend ein. Eine große Mehrheit von 84% der Österreicher:innen sieht sie dagegen als unzureichend.

Die stärkste Ablehnung der Regierungspolitik erfolgt von Seiten der Menschen mit geringem Einkommen bis €1.500: Mehr als drei Viertel (75,7%) stimmen gar nicht zu, dass die Regierung in Österreich genug tut, um die negativen Folgen der Teuerung abzufedern, weitere 16,8 Prozent stimmen wenig zu. Insgesamt zeigt sich bei mehr als 9 von 10 Befragten (92,5%) eine ablehnende Haltung. Umgekehrt findet nicht einmal einer von zehn (6,5%) in dieser Einkommensgruppe die Maßnahmen ausreichend (0,9% der Befragten antworten mit „weiß nicht“). Deutlich positiver fällt die Bilanz in der Einkommensgruppe ab €3.501 aus, hier sieht nahezu jede:r Fünfte die Maßnahmen ausreichend, aber selbst in dieser Gruppe überwiegt eine negative Einschätzung deutlich: 32,3% stimmen wenig zu, weitere 44,6% stimmen gar nicht zu. Besonders ablehnend äußert sich außerdem die ländliche Bevölkerung (88%), aber auch unter der urbanen Bevölkerung überwiegt die Ablehnung mit einer deutlichen Mehrheit (Kleinstadt/Mittelstadt 81,6%; Wien 80,8%).

Eine sinkende Inflationsrate bedeutet nicht, dass die Preise sinken, ganz im Gegenteil. „Die aktuell immer noch hohe Inflationsrate von 5,4% bewirkt, dass das Preisniveau, ausgehend von einem sehr hohen Sockel, weiter steigt. Die Situation von armutsbetroffenen Menschen und Niedrig-verdiener*innen bleibt weiter extrem angespannt“, so Präsident Ewald Sacher.

Überwältigende Zustimmung zu langfristiger Absicherung von Menschen mit geringem Einkommen

Mehr als drei Viertel der Befragten (79%) würden anstelle der bisherigen Unterstützung in Form von Einmalzahlungen eine dauerhafte und langfristige Absicherung von Menschen mit geringem Einkommen befürworten.

Diese Einschätzung wird von einer deutlichen Mehrheit unabhängig vom Geschlecht und quer durch alle Altersgruppen geteilt. Am stärksten unterstützen Menschen, die in ländlichen Gebieten sowie in klein- oder mittelgroßen Städten leben (Land 80,6%; Kleinstadt/Mittelstadt 82,2%; Wien 71,3%), jene mit Pflichtschulabschluss (83,9%; Lehre/BMS 82,8%; Matura/Hochschule 69,6) und jene mit einem Einkommen bis €1.500 (87%; €1.501-€2.500 86,1%; €2.501-€3.500 79,9%; ab €3.501 75,8%) eine dauerhafte und langfristige Absicherung von Menschen mit geringem Einkommen.

Für Direktor Erich Fenninger bestätigen die Ergebnisse leider die Einschätzung der Volkshilfe Österreich. „Wir haben als Volkshilfe viele Vorschläge gemacht, um vor allem die unteren Einkommensbezieher*innen und armutsbetroffene Menschen besser abzusichern. Leider wurde von der Regierung in dem Bereich zu oft auf Einmalzahlungen gesetzt, langfristige und nachhaltige Maßnahmen fehlen immer noch.“  

Daher fordert die Volkshilfe erneut:

  • eine grundlegende Reform der Sozialhilfe. Es braucht fixe Untergrenzen und die Anhebung auf ein armutsfestes Niveau
  • die Einführung einer Kindergrundsicherung, damit Armut nicht weiter vererbt wird
  • Anhebung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld auf 70 Prozent

Große Sorgen um Leistbarkeit des Wohnens

Die Sorge, sich das Wohnen nicht mehr leisten zu können, äußern ebenfalls verstärkt Frauen (44,3%; Männer 35,6%) sowie Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen (Pflichtschulabschluss 43,8%; Lehre/BMS 43,7%; Matura/Hochschule 31,7%) und sie steigt je geringer das Einkommen ist (bis €1.500 68,8%; €1.501-€2.500 50,3%; €2.501-€3.500 47,6%; ab €3.501 34%). In der Einkommensgruppe bis €1.500 haben bereits mehr als zwei Drittel der Befragten Sorgen, sich das Wohnen nicht mehr leisten zu können. Die negativen Folgen der Teuerung spüren sozial benachteiligte Gruppen am stärksten.

Für den Direktor der Volkshilfe Österreich Erich Fenninger „zeigt die Umfrage deutlich, welche Sorgen das lange Zeit Nicht-handeln der Regierung im Mietbereich ausgelöst hat. Erst 2024 wird die Begrenzung von Mieterhöhungen auf maximal 5% greifen. Da sind aber immer noch sehr deutliche Erhöhungen möglich, die auf einem jetzt schon sehr hohen Mietpreis aufsetzen. Die Volkshilfe hat sich schon sehr früh für einen Mietpreisdeckel eingesetzt, bei der jetzt endlich sinkenden Inflation sollte die Regierung die maximal mögliche Erhöhung nach unten setzen“, so Erich Fenninger.

Daher fordert die Volkshilfe:

  • eine wirksame Preisregulierung für den gesamten privaten Mietsektor
  • Erhöhung der öffentliche Wohnbauförderung durch schrittweise Anhebung von derzeit 0,4% des BIP auf 1% des BIP

Deutliche Mehrheit befürwortet die Einführung von Steuern auf große Vermögen

Bei nahezu drei Viertel der Befragten (73%) zeigt sich eine positive Haltung zur Einführung einer Steuer auf große Vermögen. Sie sehen darin einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit.

Die hohe Zustimmung zeigt sich quer durch alle Altersgruppen. Eine verstärkte Zustimmung äußern Frauen (77,1%; Männer 67,1%), Menschen, die in ländlichen Gebieten sowie in klein- oder mittelgroßen Städten leben (Land 72,7%; Kleinstadt/Mittelstadt 76,6%; Wien 63,6%) sowie Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen (Pflichtschulabschluss 74,2%; Lehre/BMS 77%; Matura/Hochschule 62,9%) und sie steigt je geringer das Einkommen ist (bis €1.500 86,1%; €1.501-€2.500 83,3%; €2.501-€3.500 81,6%; ab €3.501 65%). Trotz der Unterschiede stimmt eine deutliche Mehrheit quer durch alle Gruppen zu, dass die Einführung einer Steuer auf große Vermögen einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit darstellen würde.

„Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Menschen, die große Vermögen besitzen, gerecht besteuert werden. Das sehen mehr als 7 von 10 Menschen in Österreich so“, stellt Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich fest. „Es darf einfach nicht sein, dass 10 Prozent der in Österreich steuer-pflichtigen Menschen ihr Vermögen weiter und weiter vermehren, und keinen fairen Anteil an vermögensbezogenen Steuern bezahlen. Daher setzen wir uns seit vielen Jahren für faire vermögensbezogene Steuern ein.“

Knapp die Hälfte der Menschen hat Zukunftsangst 

In der aktuellen Befragung kommt eine weite Verbreitung von Zukunftsangst und Sorge um die Leistbarkeit des Wohnens unter den Menschen in Österreich zum Ausdruck. Beinahe die Hälfte der Befragten (46,5%) gibt an, dass sie Angst in Bezug auf die Zukunft haben. Darüber hinaus äußern 40 Prozent der Befragten die Sorge, sich das Wohnen nicht mehr leisten zu können.

Die Zukunftsangst steigt mit zunehmendem Alter (bis 29 Jahre 34,7%; 30-59 Jahre 42,1%; ab 60 Jahre 58,1%). Sie ist stärker verbreitet unter Frauen (50,9%; Männer 40%), unter jenen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen (Pflichtschulabschluss 54,5%; Lehre/BMS 50,6%; Matura/Hochschule 29,4%) und jenen mit geringerem Einkommen (bis €1.500 65,7%; €1.501-€2.500 56,1%; €2.501-€3.500 54%; ab €3.501 42%).

Die beiden Volkshilfe Sozialarbeiter*innen aus Oberösterreich und Kärnten, Nadine Bliem und Stephanie Kurath berichten aus ihrem Arbeitsalltag:

„Früher waren es meist multiple Krisen von Menschen, Arbeitslosigkeit, Krankheiten oder psychische Probleme, die sie dazu zwangen, Hilfe und Unterstützung bei der Volkshilfe zu suchen. Heute ist es so, dass die enormen Teuerungen beim Wohnen und der Energie die Menschen zur Verzweiflung bringen. Alleeinerzieher*innen in einer Niedriglohnbranche wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll. Und das ist eine neue Klientel für uns, weil wir wissen, wie hoch die Schamgrenze ist, die es zu überwinden gilt. Aber viele sehen keinen Ausweg mehr, und wir versuchen, so gut es geht zu helfen und zu unterstützen. Für viele ist die Situation wirklich dramatisch, und sie haben auch wenig Hoffnung, dass sich etwas für sie positiv verändert.“

 

Kein Zukunftsversprechen mehr

Fast die Hälfte der Menschen in Österreich hat Angst vor der Zukunft. Das ist ein Alarmsignal, und es bedeutet, dass die Menschen das Vertrauen in den Sozialstaat ein Stück weit verloren haben. Denn viele machen die Erfahrung, dass sie mit den derzeitigen Unterstützungsleistungen keineswegs das Auslangen finden. Für einen starken Sozialstaat braucht es auch die solidarische Finanzierung, und da gehören vermögensbezogene Steuern dazu.

Für junge Menschen, die in schon mit permanenten Krisen aufgewachsen sind, ist das auch ein dramatischer Befund. Für mehr Optimismus und weniger Angst wird es nötig sein, als Gesellschaft wieder ein Klima zu schaffen, dass niemand zurück-gelassen wird, ein Klima der sozialen Sicherheit, und das Erwerbsein- kommen nicht nur zum Überleben reicht, sondern der Aufbau eines eigenständigen Lebens möglich ist. Dieses Zukunftsversprechen löst unsere Gesellschaft im Moment nicht ein.

 

Neue Spendenkampagne gegen Kinderarmut

Kinderarmut in Österreich ist immer noch traurige Realität für jedes 5. Kind in unserem Land. Daher startet die Volkshilfe eine neue multi-mediale Kampagne, die Bewusstsein für das Thema schafft und direkte Hilfe für die Betroffenen ermöglicht.

Wir bedanken uns bei allen Spender*innen und unseren langjährigen Unterstützer*innen aus dem Unternehmensbereich, die den Erfolg unserer Kampagne ermöglichen:

 

  • Wiener Städtische Versicherungsverein
  • MAGENTA T-Mobile Austria
  • Bank Austria AG Member of UniCredit Group
  • 4GAMECHANGERS

23. November 2023

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Rückfragen

Erwin Berger, MAS
Leitung Anwaltschaftlicher Ermächtigung, Pressesprecher