Wohnen ist ein Menschenrecht

Tanja Wehsely nimmt die Politik in die Pflicht

Im Gespräch mit Tanja Wehsely, der Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien, wird die drängende Wohnkrise in Österreich beleuchtet. Sie betont, dass Wohnen ein Menschenrecht ist, das zunehmend als Handelsware betrachtet wird. Wehsely fordert dringend Reformen, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern, und appelliert an die Politik, Wohnen wieder als soziale Verantwortung zu verstehen.

Wir befinden uns in einer Wohnkrise, woran liegt das?

Das größte Problem in diesem Bereich ist leider ein globales: Wohnen ist zur Ware geworden. Wohnen wird zunehmend als Immobilie, also als Spekulationsobjekt, und nicht mehr ausschließlich als Grundlage für ein gelingendes Leben betrachtet. Diese Entwicklung ist die grundlegende Ursache der Wohnkrise, die weltweit zu beobachten ist.

Wie sieht die Situation in Österreich, insbesondere in Wien, aus?

Ein spezifisches Merkmal Österreichs, insbesondere Wiens, ist die Tradition des „Roten Wien“, das seit über 100 Jahren großen Wert auf Wohnen als Grundlage eines gelingenden Lebens legt. Diese avantgardistische Wiener Haltung zum sozialen Wohnbau wird durch den relativ großen gemeinnützigen Wohnungssektor in Österreich unterstützt. Allerdings steht dieses Modell unter Druck, nicht nur in Europa, da die unterschiedlichen Immobiliensysteme und Wohnsysteme aufeinanderprallen. Dabei siegt zunehmend die Marktrendite über soziale Aspekte. Dies führt dazu, dass Wohnen nicht mehr als ein Baustein für ein gelingendes Leben, wie Bildung, Gesundheit und Arbeit, betrachtet wird. Stattdessen wird es Teil einer renditeorientierten Immobilienwirtschaft.

Warum sind Frauen besonders stark von dieser Situation betroffen?

Frauen sind ohnehin häufig armutsgefährdet, was durch zahlreiche Studien belegt wird, die wir als Volkshilfe vorliegen haben. Sie sind auf relativ schnell und günstig verfügbaren Wohnraum angewiesen, um sowohl für sich selbst als auch oft für ihre Kinder eine sichere und unabhängige Lebenssituation zu schaffen. Wenn die Wohn- und Lebenshaltungskosten jedoch mehr als 50 bis 60 % des Einkommens ausmachen, ist es offensichtlich, dass dies nicht tragbar ist. Diese Situation führt zu versteckter Wohnungslosigkeit, da viele Frauen, oft mit ihren Kindern in prekären Wohnverhältnissen leben müssen oder in Abhängigkeitsbeziehungen geraten.

Wie ließe sich die Situation verbessern?

Wir als Volkshilfe fordern, dass Wohnen aus dem Portfolio der Rendite herausgenommen wird. Wohnen darf keine Ware sein und sollte nicht wie ein Asset am Markt gehandelt werden. Die Finanzkrise 2008 hat uns eindrücklich gezeigt, wie gefährlich es ist, Wohnen als Spekulationsobjekt zu betrachten. Die geplatzte Immobilienblase hat viele Menschen in Not gebracht und die negativen Auswirkungen sind bis heute spürbar.

Wie sichern wir bezahlbaren Wohnraum?

Es ist an der Zeit, dass alle Entitäten – Kommunen und Länder – die auf Gemeinnützigkeit und kommunales Wohnen setzen, unterstützt werden. Sie stehen unter immensem Druck und benötigen dringend Lösungen, um den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zu sichern. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Wohnen wieder als Grundrecht und nicht als Handelsware betrachtet wird.

Wie könnte man das sofort angehen?

Es bräuchte eine klare Aktion, die sofort greift und die Mieten eindämmt. Unsere Forderungen sind das Einfrieren der Mieten für zwei Jahre als Sofortmaßnahme. Es sollte eine Reform und Vereinheitlichung des Mietrechts geben, idealerweise ein universelles Mietrecht. Der aktuelle Dschungel an Zulagen, Auflagen und Unterlagen ist unübersichtlich und belastend. Vermieter und Eigentümer können überall zusätzliche Kosten aufschlagen! Dieser Zustand muss klarer und fairer geregelt werden.

Wie sehen Sie die Rolle der Politik in dieser Situation?

Wohnen darf keine Ware sein. Wohnen ist ein Menschenrecht. Es ist entscheidend, dass wir Maßnahmen ergreifen, die Menschen dabei unterstützen, in ihren Wohnungen zu bleiben, anstatt nur auf die Folgen von Wohnungslosigkeit zu reagieren. Nur so können wir eine gerechtere und solidarischere Gesellschaft schaffen.

Was ist Ihre persönliche Einstellung zu Eigentum und Wohnraum?

Aus historischer Überzeugung habe ich mich entschieden, kein Eigentum zu schaffen, was mir auch eine gewisse Freiheit gibt. Es ist meine Überzeugung, dass ich nicht unbedingt Eigentum schaffen muss, um glücklich zu sein.